Biedermann und die Brandstifter (1993)

Plakat BiedermannEin Lehrstück ohne Lehre

Die grosse Wut des Phillip Hotz
Ein Schwank

von Max Frisch

16. bis 19. Dezember 1992, Kulturhaus Dynamo, Zürich

Darstellende

Biedermann und die Brandstifter:

Herr Biedermann: Johannes Hardmeier
Babelte, seine Frau: Sandra De Vito
Anton, ein Hausdiener: Marc Diethelm
Schmitz, ein Ringer: Bernhard Rubin
Eisenring, ein Kellner: Benjamin Gygax
Ein Polizist / ein Dr. phil.: Marius Leutenegger
Witwe Knechtling: Salva Leutenegger

Die grosse Wut des Phillip Hotz:

Philipp Holz, Dr. phil.: Marius Leutenegger
Dorli, seine Frau: Salva Leutenegger
Wilfrid, ein Freund: Marc Diethelm
Clarissa, seine Frau: Sandra De Vito
Der alte Dienstmann: Johannes Hardmeier
Der junge Dienstmann: Benjamin Gygax
Eine Jungfer: Sandra De Vito
Zöllner/ Kellner: Benjamin Gygax

Team

Regie: Marius Leutenegger
Bühnenbild: Benjamin Gygax
Kostüme: Sandra De Vito
Beleuchtung: Bernhard Rubin
Verfolger: Giancarlo De Vito
Ton: Johannes Hardmeier
Souffleuse/Kasse: Sandra Eugster

Brief an unser Publikum

Viele Theaterstücke, die sich mit den grossen Menschheitsfragen auseinandersetzen, sind zeitlos. Bei «Biedermann und die Brandstifter» von Max Frisch ist die Aktualität aber unmittelbar: Die Geschichte eines Mitläufers, der das Übel als solches erkennt, es aus Furcht oder schlechtem Gewissen aber letztlich mit allen Konsequenzen duldet, wird in diesen Tagen von der Wirklichkeit geradezu exemplarisch vorgeführt. Wenn in Deutschland Rechtsextremisten Asylanten-Unterkünfte anzünden und die Regierung darauf neue Wege sucht, nicht den Rechtsradikalismus, sondern die so genannte Flüchtlingsproblematik besser in den Griff zu kriegen, so erinnert das sehr an den hilflosen Göttlich Biedermann, der den Brandstiftern die unheilbringenden Streichhölzchen reicht, damit jene sein Haus nicht niederbrennen.

Max Frisch dachte bei den Benzinfässern auf dem Biedermannschen Dachboden vielleicht an die Wasserstoffbombe, welche zu seiner Zeit für Schrecken sorgte, deren Existenz aber dennoch akzeptiert wurde. Vielleicht setzte er mit seinem Stück auch ein politisches Thema jener Tage um: «Hinter der Figur des tschechischen Politikers Benesch, der in der Hoffnung auf einen guten Ausgang mit radikalen Vertretern des Kommunismus paktierte und sich damit den politischen Boden unter den Füssen wegzog, erscheint die Gestalt des späteren Biedermann, der freiwillig dabei mithilft, das eigene Grab zu schaufeln», so Frisch-Biograph Manfred Durzak. Die Literaturwissenschaft streitet sich über die Hintergründe – doch so wichtig sind die nicht. Die Welt steckt schliesslich voller Benzinfässer, die gemeint sein könnten.

Der Untertitel des Dramas, «Ein Lehrstück ohne Lehre», ist zutreffend – es gibt in «Biedermann und die Brandstifter» keine Anleitung, wie mit den Brandstiftern umzugehen wäre. Eher präsentiert es eine Flucht in den Galgenhumor. Das Stück wäre wahrlich nicht zum Lachen, wäre es nicht derart komisch. Für Regie und Darsteller besteht durchaus eine gewisse Verführung. es als harmlosen Schwank aufzuführen.

Max Frisch war Ende der fünfziger Jahre, als das Stück entstand, in schriftstellerischer Bestform, und dies manifestiert sich in einer fast unfassbaren Leichtigkeit im Dialog, in einem sprühenden Wortwitz. Wir haben uns bemüht, das darstellerische Gewicht nicht auf die Pointen zu legen. Sondern auf die tragische Situation der Biedermänner, die ihre Haut verlieren, weil sie ihr nicht entrinnen können. Das Stück soll Angst machen hinter dem Humor, und diesen Effekt wollte Max Frisch erzielen. Denn: «Wir haben Grund zu natürlicher Angst. Wenn ein Mann des Generalstabs sagt, wir brauchten keine Angst zu haben vor der Radioaktivität, weil wir Bunker bauen können, ist das keine Angst, sondern hochbezahlter Schwachsinn, und Angst ist besser als Schwachsinn.»

Ganz anders verhält es sich mit «Die grosse Wut des Philipp Hotz», laut Frisch «ein kleiner Schwank». Hier wird kein tieferer Sinn durch Gags und Klamauk überdeckt, denn das Stück ist auf Gags und Klamauk aufgebaut. Die Frage, weshalb wir Biedermann und Holz dennoch am gleichen Abend aufführen, ist berechtigt. Die beiden Stücke wurden am 29. März 1958 gemeinsam im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt; Frisch hat dem für eine Abendvorstellung zu kurzen «Biedermann» kurzerhand den Einakter über die Nöte des intellektuellen Holz folgen lassen. Die Kombination der Stücke entspricht also den ursprünglichen Absichten des Autors.

Zudem weisen die Stücke, bei aller formalen Verschiedenartigkeit und ihrer sehr unterschiedlichen Bedeutung in der Welt der Literatur, zahlreiche Parallelen auf. Biedermann und Holz sind Brüder im Geiste; wie Gottlieb Biedermann ist auch Philipp Holz sein eigenes Opfer, das sich bei vollem Bewusstsein in eine ausweglose Situation manövriert. Beide hoffen, durch Hinnahme oder Heraufbeschwörung des Schlimmsten das Schlimmste von sich wenden zu können, und beide versagen dabei. Dass sie es auf eine ganz unterschiedliche Weise tun, tut der Ähnlichkeit der Ausgangslage keinen Abbruch. Es sorgt aber, so hoffen wir, für einen besonders abwechslungsreichen Theaterabend mit Tiefgang und Unterhaltung – für uns als Theatermacher und Theaterfans eine ideale Mischung.

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